Zum Halbzeit-Digitalgipfel der Bundesregierung steht fest: Digitalisierung hat keine Priorität.
Am 20. und 21. November findet der 16. Digitalgipfel in Jena statt. Dirk Freytag, Präsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V., zieht in diesem Zuge eine Halbzeitbilanz der Bundesregierung im Bereich der Digitalpolitik:
„Nach zwei Jahren Ampel-Regierung nimmt Deutschland bei der Digitalisierung immer noch nicht genug Fahrt auf. Mit Blick auf den Digitalgipfel in Jena lässt sich festhalten, Digitalisierung schrumpft erneut zum Nischenthema – nimmt man zumindest die Größe als Vergleichspunkt. Gleichzeitig ist Digitalisierung omnipräsent in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. So holen wir nicht auf.
Die Digitalisierungsthemen drängen und die derzeit diskutierten Punkte wie das e-KFZ-Gesetz, das e-Rezept und die digitale Patientenakte zeigen, dass wir im internationalen Vergleich weiter zurück hängen. Wie schwer wir uns damit tun, zeigt, dass wir als Gesellschaft noch viel zu tun haben.
Der Koalitionsvertrag und das Auftreten der selbsternannten Fortschritts-Koalition haben zunächst positive Erwartungen in der Digitalen Wirtschaft geweckt. Das Resümee zur Halbzeit fällt jedoch enttäuschend aus: Es gibt immer noch kein Digitalbudget, stattdessen werden in allen Bereichen Kürzungen bei den Digitalisierungsprojekten vorgenommen.
Die Ampel versteht leider wie ihre Vorgängerregierung unter Digitalisierung lediglich die Online-Zugänglichkeit analoger Prozesse. Doch Digitalisierung meint viel mehr: Ganzheitlich digitale Lösungen für Herausforderungen zu finden, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Dies ist insbesondere im globalen Wettbewerb der Digitalen Wirtschaft von großer Bedeutung. Um das volle Potenzial ausschöpfen zu können, bedarf es mehr als nur eines digital verfügbaren Bahntickets. Es sind zeitgemäße Rahmenbedingungen erforderlich, die Innovation fördern und Hemmnisse abbauen. Nur so nimmt die Gesellschaft Digitalisierung als Beschleuniger und Möglichmacher wahr.
Gelungen ist die im August 2023 vorgelegte Datenstrategie. Darin wird die Nutzung von Daten erstmals als Chance und nicht nur als Risiko betrachtet. Dies ist eine notwendige Kehrtwende nach jahrelangen negativen Debatten. Hier gilt es schnell in die Umsetzung zu gehen und auch eine gesellschaftliche Debatte zu führen, dass Daten nicht immer nur gefährlich sind. Es geht darum, die Möglichkeiten der Datennutzung aufzuzeigen und dabei verantwortungsvoll mit den Ängsten umzugehen. Jeder Mensch in Deutschland nutzt heute Daten im Alltag und sieht eigentlich den Nutzen, doch zeigen wir in der Öffentlichkeit immer nur die Gefahren auf.
Die Umsetzung des europäischen Digital Services Acts erweist sich immer mehr als Tragödie für die deutsche Wirtschaft. Das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG), das für den BVDW und seine Mitglieder von großer Bedeutung ist, hängt seit Monaten in der Ressortabstimmung fest. Der DSA tritt dennoch am 17. Februar 2024 in Kraft. Die nationale Umsetzung sollte bis dahin erfolgt sein. Die deutsche Digitale Wirtschaft benötigt dringend Klarheit darüber, wie die Aufsicht in Deutschland strukturiert sein wird. Die anstehenden Pflichten und Vorgaben sind vielfältig und erfordern eine funktionierende Behörde und Koordinierungsstelle, die auch als Partner und Berater für die notwendigen Anpassungen fungieren sollte.
Künstliche Intelligenz ist wiederum das Lieblingsthema aller Regierungsparteien und Ressorts. Ein Investment vom deutschen Mittelstand in ein deutsches KI-Startup von einer halben Milliarde Euro gibt Hoffnung, dass wir es bei dem Thema ernst meinen und nicht gleich alles den anderen Ländern überlassen. Dass der Wirtschaftsminister hier Flagge zeigt, ist ein wichtiges und gutes Signal. Jetzt ist ein geschlossenes Handeln des Kabinetts wichtig. Auch sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass der AI Act bis Ende des Jahres mit einem guten Kompromiss verabschiedet werden kann. Während im Trilog noch starke Differenzen bestehen, muss es im Interesse der Gesellschaft sein, bei diesem völlig neuen Bereich noch möglichst viel zuzulassen und einen atmenden Rahmen zu schaffen. Europa darf die Chance nicht verstreichen lassen, eine Blaupause für die Regulierung Künstlicher Intelligenz nach unseren Werten und Normen zu schaffen.
Digitalisierung und insbesondere die Nutzung von Daten sind heute fester Bestandteil unseres Alltags. Es reicht jedoch nicht aus, analoge Prozesse zu digitalisieren, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Eine echte Digitalpolitik geht weit darüber hinaus. Sie denkt unsere Welt und Herausforderungen in digitalen Lösungen. Die Datenstrategie, das Digitalbudget und die zügige Umsetzung des DDGs sind hervorragende Ausgangspunkte, um positiv in die zweite Hälfte der Legislaturperiode einzusteigen.“