Wie wir Gefahr laufen, unseren Zugang zu Digitalen Diensten zu verspielen — Gastbeitrag zu Pay-or-Consent-Modellen

News, 18.11.2024

von Dr. Moritz Holzgraefe

„There’s no such thing as a free lunch“, wusste bereits Milton Friedman. Der bekannte Ökonom beschrieb damit ein jahrhundertealtes Prinzip für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, das in der analogen Welt niemand infrage stellen würde: und zwar dass wir nicht nur für die Pizza, die wir bestellen, sondern auch für das Magazin, das wir lesen, am Ende auf irgendeine Weise bezahlen müssen. Befinden wir uns jedoch in der digitalen Welt, scheint dieses Grundprinzip plötzlich hinterfragt zu werden. Denn sobald das Magazin online statt im Kiosk bezogen wird, geht es nicht mehr um das Produkt und dessen Refinanzierung, sondern vielen in erster Linie und einigen offensichtlich allein um den Datenschutz. Warum eigentlich?

In diesen Tagen flammt diese Frage wieder auf. Konkret geht es um die sogenannten „Pay or Consent“-Modelle. Diese gewähren Nutzerinnen und Nutzern von Digitalen Diensten eine Wahlmöglichkeit zum Konsum des jeweiligen Angebots. Zur Auswahl stehen eine entgeltfreie Option mit datenbasierter Werbung sowie eine kostenpflichtige, dafür aber trackingfreie Alternative. Eingesetzt wird das Prinzip von Publishern über die Unterhaltungsbranche bis hin zu digitalen Geschäftsmodellen wie sozialen Netzwerken, Blogs oder auch Foren. In all diesen Fällen wird über solche Modelle ermöglicht, Angebote zu refinanzieren. Die deutsche Datenschutzkonferenz, weitere nationale Aufsichtsbehörden und auch der EuGH haben die grundsätzliche Zulässigkeit von „Pay or Consent“-Modellen bestätigt.

Ist damit nicht alles gesagt? Nicht, wenn es nach dem Europäischen Datenschutzausschuss (EDSA) geht. Er ist als unabhängiges europäisches Gremium konzipiert und soll eigentlich sicherstellen, “[…] dass die Datenschutz-Grundverordnung und die Strafverfolgungsrichtlinie einheitlich angewandt werden und die Zusammenarbeit, auch bei der Durchsetzung, gewährleistet wird.“ Er ist weder dafür geschaffen noch dazu legitimiert, neue rechtliche Verpflichtungen über die Vorgaben der DSGVO hinaus zu erarbeiten. Doch genau das ist es, was gerade passiert. Abseits des Scheinwerferlichts sind die europäischen Datenschutzbehörden dabei, digitale Geschäftsmodelle grundlegend zu verändern, wenn nicht gar über den Haufen zu werfen. Alles unter dem Vorwand des Datenschutzes.

Um diese Kritik nachvollziehen zu können, braucht es einen kurzen Exkurs: Das Recht auf Privatsphäre ist eines von 30 Artikeln, die im Dezember 1948 von der UN-Generalversammlung als „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ verabschiedet wurden. Es wurde 1950 auch in die Europäische Menschenrechtskonvention und später in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union übernommen. Es ist ein wichtiges Grundrecht, keine Frage. Aber gleichzeitig steht es neben anderen wichtigen Grundrechten wie beispielsweise dem Recht auf freie Meinungsäußerung, dem Recht auf unternehmerische Freiheit und dem Recht der Informationsfreiheit. Auch wenn so Mancher das Recht auf Privatsphäre gerne als „Supergrundrecht“ interpretieren will, muss immer zwischen diesem und anderen Grundrechten abgewogen werden. In Deutschland gilt allein das Grundrecht auf Menschenwürde als absolut geschütztes Grundrecht.

Nun vernachlässigen die Datenschutzbehörden allerdings derzeit nicht nur die gebotene Abwägung zwischen Grundrechten. (An-)Getrieben von Aktivisten öffnen die europäischen Datenschützer wissentlich die Tür für einen überbordenden Eingriff in die Privatautonomie, indem sie das bestehende – zulässige – „Pay or Consent“-Modell im Zuge ihrer Guideline um eine „dritte Option“ ergänzen wollen. Ginge es nach den Datenschützern, sollte diese Option weder eine Datenverarbeitung noch ein monetäres Entgelt beinhalten. Zugleich schwingen sich die Behörden zu neuen Wettbewerbshütern auf, indem sie bewerten wollen, wie hoch der Preis für eine Bezahloption sein darf.

Damit gefährdet die geplante Guideline aber schlussendlich die Refinanzierung Digitaler Dienste – vom Start-up über den Mittelständler bis zu den großen Digitalkonzernen. Leidtragende sind aber nicht nur sie, sondern auch die Werbetreibenden und nicht zuletzt die Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit keiner soliden Refinanzierung der aufgeführten Angebote verschwinden Inhalte und Dienste hinter Paywalls oder schlimmstenfalls ganz vom Markt. Die Angebotsvielfalt wird eingeschränkt – mit dem Wissen und Wollen einer unabhängigen neutralen Aufsichtsbehörde und erheblichen Folgen für die Informations- und Meinungsvielfalt. Dabei haben uns die vergangenen Tage und Wochen allen gezeigt, wie wichtig diese auch für unsere Demokratie sind.

Mit ihrem Vorgehen überschreiten die europäischen Datenschützer ihre Zuständigkeiten und den geltenden Rechtsrahmen. Weder die DSGVO noch die ePrivacy-Richtlinie bieten eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zu einer solchen Option. Daran ändert auch nichts, wenn sich ein großer Marktteilnehmer aufgrund drohender, erheblicher wettbewerbsrechtlicher Strafen diesem Unrecht zu beugen scheint. Es bleibt nach wie vor ein Eingriff in die Grundfesten der Gewaltenteilung, wenn der EDSA trotz mangelnder Befugnis versucht, auf indirekte Weise neues Recht zu schaffen, statt nur bestehendes anzuwenden.

Am kommenden Montag lädt der EDSA zu einem „Stakeholder“-Event ein. Über 200 Expertinnen und Experten sind geladen. Auch wir als Bundesverband Digitale Wirtschaft und zahlreiche Mitglieder werden teilnehmen. In Gruppen mit 40 oder mehr Personen sollen dort fünf Themen im Stundentakt diskutiert werden. Damit bleibt jedem Teilnehmer knapp über eine Minute pro Thema, um seine Expertise einzubringen. Größere Beteiligung ist explizit nicht geplant. Mehr als nur ein Feigenblatt? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. November 2024 auf Horizont.net.

Über den Autor
Moritz Holzgraefe ist seit 2021 Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft e. V. seit 15 Jahren in der Digitalbranche im In- und Ausland tätig. Zudem ist er Marshall Memorial Fellow des German Marshall Fund und Young Leader des American Council on Germany.